"Ich sechzige" Editorial
"Ich sechzige" Beiträge
"Ich sechzige" Auftaktveranstaltung


































Antifaschisten begründeten neues Vertrauen
Vortrag über Antifaschismus und Völkerverständigung

Von Luitwin Bies, 4.11.2006

Beitrag als PDF-Download

Man muss sich fragen, ob gewisse Politiker eine besondere Art von Zeitrechnung praktizieren. Da läuft seit geraumer Zeit eine Kampagne, dass das Saarland fünfzig werde. Die Staatskanzlei inszeniert Veranstaltungen der verschiedensten Art, wendet sich dabei besonders an Schüler und Jugendliche, sie sollten sich was einfallen lassen unter dem Motto "ich fünfzige". Suggeriert werden soll wohl der jungen Generation die Existenz des Saarlandes habe mit dem 1. Januar 1957 begonnen, dem Tag, ab dem das Saarland ein Land der Bundesrepublik wurde.
Was soll das? fragt der Zeitzeuge, wo doch z.B. der Landtag des Saarlandes schon 1997 sein 50jähriges Jubiläum feierte? Hatten wir etwa einen Landtag, ein Parlament, ohne ein Land zu sein? Und im Handbuch des Saarlandes findet man die "Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947" (natürlich in der aktuellen Fassung) Der Historiker Dr. Luitwin Bies hat auf einer Konferenz der VVN-BdA in Saarbrücken einen Vortrag gehalten, in dem er sich mit Fragen der Geschichte des Saarlandes beschäftigt.

Seit Wochen hören und lesen wir, das Saarland werde 50. Es handelt sich um eine Aktion der Staatskanzlei, die von den Medien unterstützt wird. Was kann es damit auf sich haben, wissen wir doch, dass das Saarland 1947 konstituiert worden ist, als staatliches Gebilde also 60 Jahre alt ist.
Gemeint sind die 50 Jahre, seit denen das Saarland ein Land der Bundesrepublik Deutschland geworden ist, angeschlossen nach der Beitrittserklärung des Saar-Landtages vom 13./14. Dezember 1956 und der am 23. Dezember 1956 erfolgten Verabschiedung des Eingliederungsgesetzes durch den Bundestag zum 1. Januar 1957.
Da ist zu fragen: Was war, wie ist das mit den 10 Jahren davor? Wer waren die damals agierenden Kräfte? Wo kamen sie her, wie waren ihre Positionen?

Wer diesen Fragen und ihren Antworten ausweichen will, hat möglicherweise Geschichtsmanipulation statt - Vermittlung vor, möchte Positionen und Abläufe, vielleicht auch Personen vergessen machen. Schon im Jahre 2005 wurden zum Plebiszit vom 23. Oktober 1955 Reden gehalten, die suggerieren sollten, dass mit dieser Abstimmung und den Folgen die deutsch-französische Verständigung, ja - Freundschaft begonnen habe. Es ist anders.

In den Tagen vom 14. bis 21. März 1945 besetzten US-Truppen das Land an der Saar. Sie setzten Antifaschisten oder Nicht-NSDAP-Mitglieder als Bürgermeister ein und nahmen führende Nazis fest, so sie ihrer habhaft werden konnten. Das gesellschaftliche Leben musste neu organisiert werden. Die Zerstörungen in den Städten und Dörfern, in den zerbombten oder gesprengten Industriebetrieben, von Brücken, Verkehrswegen und Versorgungseinrichtungen waren enorm, die Verstörung in den Köpfen der Menschen, die mehrheitlich den Nazis gefolgt waren, war nicht minder hoch zu veranschlagen.
Den Antifaschisten, die aus der Illegalität hervortraten, aus dem KZ zurück kamen und jenen Menschen, die sich dem Druck und den Verlockungen der Faschisten versperrt hatten, oblagen nun große Aufgaben. An die Saar kehrten im Verlaufe des Jahre 1945 die meisten nach Frankreich exilierten Landsleute zurück und verstärkten das antifaschistische Potential "vor Ort". Denen musste Antifaschismus nicht verordnet werden. Wohl aber jenen übrig gebliebenen Nazis, den Mitläufern, den Orientierungslosen, der Jugend.
Mit der bedingungslosen Kapitulation Hitlerdeutschlands, mit dem Potsdamer Abkommen und den Befehlen des Alliierten Kontrollrates waren nun Zug um Zug die neuen Rahmenbedingungen für das Leben, für Reparationen, Wiedergutmachung, für den Aufbau in allen Bereichen gegeben. Für die französische Besatzungszone verkündete der Oberkommandierende General König die notwendigen Befehle und Anordnungen. Das Abkommen von Potsdam und die Kontrollratsbeschlüsse bildeten hierfür die Grundlage. Im Saarland selbst war es der Militärgouverneur Gilbert Grandval, der mit seinen Kreis- und Orts-Kommandanten und weiteren Verantwortlichen für deren Durchsetzung sorgte, sie mit weiteren Erlassen ergänzte oder konkretisierte. Hunderte Funktionäre der NSDAP und ihrer Gliederungen wurden inhaftiert und in Lagern eingesperrt, in denen bis zur Befreiung Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter hatten vegetieren müssen.
Solche Maßnahmen dienten gewiss zuerst der militärischen Absicherung des nun befreiten und besetzten Gebietes, waren aber zugleich Voraussetzung für einen neuen Ansatz politischen Lebens. Später überschnitten sich die antimilitaristischen und antifaschistischen Maßnahmen und Anordnungen oder sie kollidierten mit jenen, die von der Absicht der herrschenden Kreise Frankreichs getragen waren, die Region an der Saar vom einheitlichen Deutschland und aus der französischen Zone loszulösen und in ein Sonderverhältnis zu Frankreich zu bringen.

Bereits am 4. Mai 1945 war ein Regierungspräsidium Saarbrücken eingerichtet worden, dem nach der offiziellen Zulassung der Parteien und Gewerkschaften sofort ein "konsultativer Ausschuss" als Beratungsgremium zugeordnet wurde. Es setzte sich aus je zwei Vertretern "der christlich-sozialen Partei", der "sozialistischen Partei", der "kommunistischen Partei" und "der Gewerkschaft" zusammen. Vertreter dieser Parteien stellten sich im Herbst 1945 in öffentlichen Veranstaltungen der Saarbevölkerung vor. Sie traten gemeinsam auf, wenn auch noch nicht als Parteivertreter ausgewiesen, doch als solche bekannt und anerkannt. Am 27. Oktober 1945 sprachen in einer "ersten öffentlichen demokratischen Kundgebung: Fritz Nickolay, Peter Zimmer, Johannes Hoffmann". Am 21. März 1946 waren die gleichen Redner aufgeboten zu einer Kundgebung "zur Feier des ersten Jahrestages der Saar-Befreiung". Aufrufer waren: Christliche Volkspartei des Saarlandes (CVP) deren Vorsitzender Johannes Hoffmann war, die Sozialdemokratische Partei Saar (SPS), für die Peter Zimmer sprach, und die Kommunistische Partei Saar-Nahe, deren Vorsitzender Fritz Nickolay war. Auch die "Einheitsgewerkschaft der Arbeiter, Angestellten und Beamten" hatte zu dieser Kundgebung aufgerufen, bei der die Parteienvertreter die Erfahrungen der saarländischen Geschichte (Abstimmung 1935) streiften und Aufgaben der Gegenwart behandelten. Da gab es schon einen antifaschistischen Konsens, der an dem gemeinsamen Widerstand gegen die Nazis anknüpfte und zugleich übereinstimmende Positionen in vielen Fragen der Gegenwart und Zukunft des Landes offenbarte. Dafür steht auch eine Veranstaltung, zu welcher der "Antifaschistisch-demokratische Aktions-Ausschuß" für den 3. Dezember 1945 aufgerufen hatte. Hier traten der Kommunist August Hey, der Katholik Johannes Hoffmann und der Sozialdemokrat Peter Zimmer als Redner auf. Hey war der von der Militärregierung eingesetzte Bürgermeister von Dudweiler, Johannes Hoffmann der spätere Vorsitzende der CVP und Ministerpräsident, und Peter Zimmer der spätere Landtagspräsident und Oberbürgermeister von Saarbrücken.
Durch antifaschistische Gemeinsamkeiten war in der Anfangszeit auch die "Neue Saarbrücker Zeitung" von der Zusammensetzung ihrer verantwortlichen Redakteure wie von den dort vertretenen Inhalten bestimmt. Johannes Hoffmann, Peter Zimmer und Hermann Burkhardt (KP) repräsentierten die Parteien in der Chefredaktion des Blattes, das seinem Namen das Wörtchen "Neue" voranstellen musste.

In ihrer Nr. 4 vom 11. September 1945 stellte die "Neue Saarbrücker Zeitung" in einem Leitartikel ihre Position unter dem Titel "Rettung durch uns selbst" dar. Da hieß es u. a., die militärische Vernichtung des Nationalsozialismus sei das Werk der Alliierten gewesen, "seine geistige Überwindung aber muss durch das Volk selbst geschehen. Durch die rasche Liquidierung der noch verbliebenen Überreste des Nationalsozialismus kann das Volk beweisen, dass es den Weg zur Demokratie beschreiten will. Auf eine praktische Formel gebracht lautet das: Die noch verbliebenen Nazis müssen aus dem öffentlichen Leben schleunigst verschwinden ... Die Schuldigen ... dürfen einer strengen und gerechten Strafe nicht entgehen ..."
Die Zeitung selbst beteiligte sich an der "geistigen Überwindung" durch Artikel, Berichte, Meldungen, Kommentare über die Konzentrations- und Vernichtungslager, über die Prozesse, die gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg, vor dem französischen Militärtribunal in Rastatt, oder an anderen Orten - z.B. auch in Saarbrücken - durchgeführt wurden, so gegen den Völklinger Schwerindustriellen Hermann Röchling und weitere Angeklagte, gegen die Mannschaften des Sonderlagers "KZ Neue Bremm", wobei 14 Angeklagte zum Tode verurteilt und erschossen wurden, gegen die Wachmannschaft des Arbeitserziehungslagers Etzenhofen (das zum Röchling-Bereich gehört hatte) oder auch gegen jene Nazi-Schergen, die am 8. und 9. November 1938 in den verschiedenen Orten des Saarlandes Synagogen in Brand gesteckt und jüdische Mitbürger misshandelt und terrorisiert hatten. Ehemalige saarländische Häftlinge der KZ veröffentlichten Berichte über ihren Lebens- und Leidensweg und den vieler anderer, die in Zuchthäusern und KZ umgebracht worden waren. Natürlich wurden damals auch die Verlautbarungen der Militärregierung veröffentlicht, Verordnungen und Anordnungen.
Ferner berichtete die Presse über die Ingangsetzung der Betriebe, die Beseitigung der materiellen Trümmer, das Wirken der per Anordnung eingesetzten kommunalen Verwaltungen. Im Saargebiet der Jahre 1945/1946 wurden die wichtigsten Konzernbetriebe unter Sequesterverwaltung gestellt. Dazu gehörten im Juli 1945 die Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke in Völklingen, dann die Neunkircher Eisenwerke, vormals Gebr. Stumm und im Januar 1946 die Saargruben AG. (Die AG der Dillinger Hüttenwerke, ARBED-Burbach und die Brebacher Hütte waren lange schon mehrheitlich in französischem bzw. luxemburgischem Kapitalbesitz gewesen.) In Banken und Sparkassen waren französische Kommissare eingesetzt worden.
Ihre Vorstellungen über die weitere Entwicklung der Wirtschaft machte die saarländische Sozialdemokratie in einem Artikel der "Neuen Saarbrücker Zeitung" vom 11. April 1946 deutlich: "... Die saarländischen Sozialdemokraten sind der Meinung, dass die Kräfte der Reaktion und des Nationalsozialismus nicht nur im politischen, sondern auch im wirtschaftlichen Sektor für immer dadurch beseitigt werden können, dass die sozialistische Planwirtschaft, die die Kriegsursachen beseitigt, an die Stelle der kapitalistischen Profitwirtschaft treten muss, die immer ein Feind des Friedens war ..." Und sie setzte in ihrer Parteizeitung "Volksstimme" am 12. November 1946 diese Argumentation fort. Unter dem Titel "Entnazifizierung der Wirtschaft - sozialdemokratisch gesehen", der als Aufmacher erschien, wurde geschrieben: "... Die kapitalistische Wirtschaftsordnung war die ökonomische Grundlage, auf der der Nationalsozialismus sein politisches Herrschaftssystem aufbauen konnte. Die expansionistischen Tendenzen der deutschen Wirtschaft bestimmten die Politik des nationalsozialistischen Staates ... Beide: nationalsozialistischer Staat und kapitalistische Wirtschaftsordnung haben so viel Schuld auf sich geladen, dass nicht eine der beiden Ordnungen allein dafür verschwinden muss. Sie müssen beide ausgerottet werden, wenn die Gefahr, die sie mit ihrer bloßen Existenz darstellen, nicht weiter bestehen soll. Wer den Nationalsozialismus beseitigen will, muss auch das wirtschaftliche und gesellschaftliche Gebäude des Kapitalismus stürzen helfen ..."
Da gab es Deckungsgleichheit mit den Auffassungen der Kommunisten und den Forderungen der Einheitsgewerkschaft. Erste Zusammentreffen zur Wiedergründung der Gewerkschaften gab es an der Saar schon ab dem 22. April 1945. Bergarbeiter, Bauarbeiter, Hütten- und Metallarbeiter, Eisenbahner usw. schufen ihre Gewerkschaften und den Dachverband "Einheitsgewerkschaft". Es wurde damals so verfahren, wie es in der "Neuen Saarbrücker Zeitung" am 24. November 1945 dargestellt war: "...Der Aufbau der Gewerkschaften erfolgt parteipolitisch und religiös neutral, auf freier demokratischer Grundlage unter paritätischer Zusammensetzung aller Organe der Gewerkschaft, d.h. die früheren Gewerkschaftrichtungen sind in der gesamten Verwaltung paritätisch vertreten. Insofern hat die Demokratie Grenzen, als alle Funktionäre, ob Betriebsrat oder Vorstandsmitglied, politisch einwandfrei, d.h. Antifaschisten sein müssen..."

An der Spitze der Einheitsgewerkschaft standen Heinrich Wacker, SPS, der im französischen Exil war und neben ihm war der Kommunist Paul Obermeier, der ebenfalls in Frankreich war und in den Reihen der Resistance gekämpft hatte.
Als Vorsitzender des IV-Bergbau wirkte bis zu seiner Ausweisung aus dem Saarland der Kommunist Oskar Müller, der Exil in Frankreich und eine Verurteilung zu 4 Jahren Zuchthaus und anschließend KZ nach der Besetzung durch die Wehrmacht hinter sich hatte.
Der Eisenbahnergewerkschaft stand Eduard Welter vor, der im Exil in Frankreich gewesen war.
Bei den Bauarbeitern war es Bernard Munari, der aus dem französischen Exil zurückgekommen war.
(Diese Nennung ist nicht vollständig.)
Diese Antifaschisten waren es, die Vertrauen bei ihren Kollegen in Frankreich begründeten. Schon 1946 im Februar war bei der Delegiertenkonferenz der Eisenbahner ein Kollege Coulpier als Vertreter der Eisenbahngewerkschaft Frankreichs anwesend. Bei den Bergarbeitern traten Pierre Müller und Lucien Meyer von der CGT auf, usw.
Die "Neue Saarbrücker Zeitung" wurde von Johannes Hoffmann, Peter Zimmer (SPS) und dem Kommunisten Hermann Burkhardt geleitet, der in Marseille der Resistance angehört hatte und dessen Frau am letzten Tag vor der Befreiung dort erschossen worden war.

Ab 1946, nachdem Frankreichs Außenminister Bidault und auch Gouverneur Grandval öffentlich kundgetan hatten, dass das Saarland von Deutschland abgetrennt und Frankreich angeschlossen werden solle, kamen zwischen den Antifaschisten Differenzen in der nun akuten nationalen Frage auf. CVP und SPS traten für den Anschluss an Frankreich ein - die Kommunistische Partei dagegen. 1947 gab es zwar in der inzwischen einberufenen Verfassungskommission noch viele Gemeinsamkeiten und auch sachliche Kompromisse, jedoch nicht in den Fragen, die den künftigen Status des Saarlandes berührten. Das betraf zuerst und vor allem die Präambel, in der "die politische Unabhängigkeit des Saarlandes vom Deutschen Reich, die Landesverteidigung und die Vertretung der saarländischen Interessen im Ausland durch die französische Republik, die Anwendung der französischen Zoll- und Währungsgesetze im Saarland" und weitere Maßnahmen fixiert waren.
Andere Verfassungsartikel, die heute noch Bestandteile der Landesverfassung sind, entstanden nach vielen Diskussionen und auch Änderungsanträgen weitgehend im Konsens, so z.B. Artikel aus dem Abschnitt "Wirtschafts- und Sozialordnung". Hier lautet der Artikel 43/1: "Die Wirtschaft hat die Aufgabe, dem Wohle des Volkes und der Befriedigung seines Bedarfes zu dienen", der Artikel 45: "Die menschliche Arbeitskraft genießt den Schutz des Staates. Jeder hat nach seinen Fähigkeiten ein Recht auf Arbeit", der Artikel 50/1: "Dem Staat obliegen Planung und Durchführung des wirtschaftlichen Aufbaus des Landes nach Maßgabe der Gesetze", der Artikel 51/1: "Eigentum verpflichtet gegenüber dem Volk. Sein Gebrauch darf nicht dem Gemeinwohl zuwiderlaufen." Andere Artikel legen fest, dass "Schlüsselunternehmungen der Wirtschaft ... wegen ihrer überragenden Bedeutung für die Wirtschaft des Landes oder ihres Monopolcharakters nicht Gegenstand privaten Eigentums sein" dürfen, dass "Großunternehmen ... durch Gesetz aus dem Privateigentum in das Gemeinschaftseigentum überführt werden" können.

Die Saarverfassung wurde keiner Volksabstimmung unterzogen. Bei den Wahlen am 5. Oktober 1947 hatten die Wahlberechtigten nur die Möglichkeit, zwischen den Parteien, die für den Anschluss an Frankreich waren (CVP, SPS und Demokratische Partei Saar = DPS) oder der Anschlussgegnerin (KP) zu wählen. So rückte in jenem Sommer/Herbst 1947 die nationale Frage an die erste Stelle. Die Saarbevölkerung - unsicher über die weitere Entwicklung für und in Deutschland und unter der Drohung des Gouverneurs stehend, dass auch die Demontage von Industriebetrieben als Reparationsleistung nicht auszuschließen sei - wählte nach dem Motto, dass das "Hemd näher als der Rock" ist. Von 449.718 Stimmen erhielten die Anschlussparteien 411.807 Stimmen, die Kommunistische Partei 37.911 Stimmen.

Wer waren die Gewählten?

Bei der Sozialdemokratischen Partei u. a.:
- Richard Kirn, Exil in Frankreich, zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt
- Ernst Kunkel, Exil in Frankreich, 14 Monate Gefängnis
- Angelika Braun, Exil in Frankreich und Großbritannien
- Heinrich Barth, Exil in Frankreich zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt, KZ bis 1945
- Hermann Petri, Exil in Frankreich, zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt
- Heinrich Wacker, Exil in Frankreich
- Luise Schiffgens, Exil in Frankreich, Mitarbeit im CALPO
- Dr. Heinz Braun, Exil in Frankreich und Großbritannien
- Georg Schulte, Exil in Frankreich
(9 von 17 Abgeordneten)

Bei der CVP waren es u. a.
- Johannes Hoffmann, Exil in Luxembourg, Frankreich und Brasilien
- Dr. Edgar Hector, Exil in Frankreich
- Dr. Emil Straus, Exil in Frankreich
- Heinrich Danzebrink, Exil in Frankreich
- Bartholomäus Koßmann, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet

Und bei der Kommunistischen Partei:
- Fritz Bäsel und Karl Hoppe, Exil in Frankreich und der Schweiz

Michael Sander unterteilt in seinem Beitrag über "Die Entstehung der Verfassung des Saarlandes" (in: 40 Jahre Landtag des Saarlandes, Saarbrücken 1987) in Emigranten und Nichtemigranten, wobei der festhält, dass 1947 von 34 Mitgliedern der Verfassungskommission 13 Emigranten und 17 Nichtemigranten gewesen seien.
Wenn man so will, waren da im Landtag viele Jahre Zuchthaus und KZ, Exil und Teilnahme an der Resistance versammelt.

In jenen Jahren gab es in den Kommunen, in den Gewerkschaften, in vielen Organisationen und Vereinen loyale Zusammenarbeit der Antifaschisten in vielen Fragen. Das reichte von den Fragen der praktischen Aufbauarbeit, über Um- und Neubenennung von Straßen mit den Namen von Antifaschisten, über die Gestaltung einer Ausstellung "Hitlers Verbrechen" im Saarland-Museum (1946), der Ausstellung "10 Jahre Nazismus" (1947) in Neunkirchen, bis zur Gründung und der Zusammenarbeit der "Vereinigung `Opfer des Faschismus’, Bezirk Saar", aus der später die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" wurde. Ehrenpräsident wurde Richard Kirn, der Vorsitzender der SPS und 1943 vom Volksgerichtshof zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Vorsitzender wurde Hermann Ratering, ein Mitglied der Kommunistischen Partei, Interbrigadist in Spanien und Häftling der Gestapo. Zu Stellvertretern bzw. weiteren Vorstandsmitgliedern wurden Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen und Bürgerliche gewählt.
Die Gemeinsamkeit hielt in dieser Organisation bis zum Januar 1951. Da hatte - offensichtlich wegen der Differenzen in der nationalen Frage - der Antikommunismus, bestärkt durch vermeintliche oder tatsächliche Zustände in der UdSSR und der SBZ/DDR, überhand genommen. Das Verhältnis zur Sowjetunion und zur DDR war zweifellos der neuralgische Punkt, an dem Kommunisten getroffen werden konnten und zu dem sie nicht schweigen konnten. Es waren allerdings die Differenzen von außerhalb der VVN, die aber auf sie spalterisch einwirkten.

Auch noch 1952 wurden angesehene Antifaschisten auf den Listen der Parteien in den Landtag gewählt:
- Peter Zimmer, Ernst Kunkel, Luise Schiffgens, Dr. Braun, Richard Kirn, Hermann Petri (SPS)
- Oswald Weyrich, Alois Körner, Josef Born, Paul Kärcher für den Erich Walch nachrückte (KP)
- Dr. Hector, Johannes Hoffmann und andere für die CVP.

Antifaschistische Männer und Frauen waren es denen vertraut wurde, an der Saar demokratische Strukturen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens aufzubauen und zu garantieren.
Partei-Vertreter sind schon benannt, Gewerkschafter ebenfalls, Führungspersönlichkeiten der VVN.

Dass in der nationalen Frage, nämlich der Zugehörigkeit des Saarlandes zu Deutschland bzw. der teilautonome, wirtschaftliche Anschluss an Frankreich die Haltung der Antifaschisten auseinander gingen ist bekannt. Doch schloss das z.B. den Respekt französischer Regierungspersönlichkeiten gegenüber den Anschlussgegnern nicht aus. Hermann Burkhardt berichtet, dass Jean-Paul Botti sein ehemaliger Chef in Marseille und Presseoffizier bei General König in Baden-Baden war. Botti fragte ihn nach seinem Urteil über die Neue Saarbrücker Zeitung. Und er informierte ihn über beabsichtigte ähnliche Publikationen in Ludwigshafen und Mainz und bezog ihn in die Meinungsbildung ein und er setzte auch durch, dass Grandval ihn für die Chefredaktion der SZ akzeptierte.
Auch hier sehen wir an diesem Beispiel, dass die Bekanntschaft, dass das im Exil und in der Resistance erworbene Vertrauen auch das Zutrauen für die Nachkriegsentwicklung begründete. Marga Burckhardt erzählte von Gesprächen zwischen Militärgouverneur Gilbert Grandval und Hermann Burckhardt. Beide waren eben durch die Resistance, im Widerstand gegen die Nazis verbunden. Und auch dies: Außenminister Georges Bidault, der der MRP angehörte empfing in Paris nicht nur jene Saarländer, die mit dem französischen Kurs übereinstimmten, sondern auch eine Delegation der Kommunistischen Partei von der Saar, um ihre Argumente anzuhören.
Es ist nicht meine Absicht, die Politik Frankreichs in der Saarfrage zu verklären. Aber das Ansehen der saarländischen Antifaschisten spielte in Frankreich schon eine bedeutende Rolle. Das zeigte sich auch in der Einladung der saarländischen Kommunisten zum Parteitag der FKP in Straßbourg, wo Fritz Nickolay Gelegenheit bekam, vor den Delegierten die nationale Position seiner Partei darzulegen. Richard Kirn pflegte Beziehungen zur SFIO, Hoffmann zur MRP und anderen Kreisen der französischen Politik. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Ich komme zu den Anfangsbemerkungen zurück und stelle fest: es waren Antifaschisten, die nach 1945 das Vertrauen der Nachbarn begründeten und die durch ihre Teilnahme am Freiheitskampf Frankreichs gegen die faschistischen Aggressoren die Grundlage für erste Freundschaftsbeziehungen gelegt hatten.

Eine Zäsur erfolgte nicht nur durch das Ergebnis des Plebiszits vom 23. Oktober 1955, sondern durch die zunehmend stärkere nationalistische Hetze, die im Abstimmungskampf von Seiten der so genannten "Heimatbund"-Parteien (DPS, CDU, DSP) ähnliche Züge annahmen wie 1934 unter der profaschistischen Deutschen Front. Und schließlich wurde die Ablösung der Antifaschisten durch andere Kräfte in der Landtagswahl Dezember 1955 und drauffolgender Regierungsbildung sichtbar.
Interims-Ministerpräsident wurde Heinrich Welsch, der den Nazis 1934 als Leiter der Gestapostelle Trier und später als Generalstaatsanwalt im Stab von Gauleiter Bürckel in Metz gedient hatte, der allerdings schon vor 1955 eine neue Karriere antreten konnte. Diese Karriere kann ebenso wie die von Hoffmann mit seiner CVP praktizierten versöhnlichen Aufnahme und Integration ehemaliger Anhänger der pro faschistischen Deutschen Front um mit ihnen eine "Volkspartei" zu werden, hier nicht vertieft werden.
Dem neuen Landtag gehörten "jede Menge" ehemaliger NSDAP-Miglieder an: Egon Reinert, Dr. Erwin Albrecht, Wilhelm Kratz, Dr. Franz-Josef Röder. Von Dr. Albrecht ist bekannt, dass er nach 1945 in der CSR gesucht wurde, weil er als "Blutrichter von Prag" viele Todesurteile verhängt hatte. Und Julius von Lautz, später Justizminister, jetzt MdL war ebenfalls zeitweilig im Dienst der Gestapo und Mitglied der NSDAP.
Bei der DPS (FDP) waren die Abgeordneten Senator Richard Becker, Dr. Heinrich Schneider, Paul Simonis und Ernst Schäfer Mitglied der NSDAP gewesen. Auch hier ließen sich weitere Namen und ehemalige NS-Funktionsträger auflisten.
Dr. Ney, Ministerpräsident und dann Justizminister (1956 -1959) trat nach Differenzen mit seiner Partei aus der CDU aus und landete schließlich bei der NPD.
Am 8. Januar 1956 hatte die VVN-Saar in einer Erklärung festgestellt: "Von den 33 Abgeordneten der ‘Heimatbund’-Parteien sind 21 ehemalige Hitleraktivisten, SS- und SA-Führer und Gestapo- und SD-Agenten."

An die Adresse der Innenministerin, die im Januar dieses Jahres geradezu hysterisch gegen die VVN-BdA losgedonnert hatte möchte ich sagen: Kümmern Sie sich doch um ihre Parteigeschichte, kümmern Sie sich um jene Personen, die jahrelang das Gesicht Ihrer Partei geprägt haben. Kümmern Sie sich darum, dass den oben zitierten Passagen aus unserer Landesverfassung in der Regierungspolitik Geltung verschafft wird. Der Verfassungsschutz hätte hier ein weites Betätigungsfeld. Und außerdem fordere ich Sie auf, endlich jenen Antifaschisten den schuldigen Respekt entgegenzubringen, die bis 1935 den Nazis im Lande, dann im Exil, in der Resistance, im Zuchthaus oder KZ widerstanden hatten.

(Bei den Angaben zur NSDAP-Mitgliedschaft von CDU- und DPS-Politikern beziehe ich mich auf Recherchen von Erich Später, Heinrich Böll-Stiftung, Saar. Ich stütze mich auf meinen Beitrag "Verordnet - verinnerlicht - verdrängt. Antifaschismus an der Saar in den Nachkriegsjahrzehnten": M. Weißbecker/R. Kühnl (Hg) Rassismus - Faschismus -Antifaschismus, Köln 2000)